Eine kleine Zeitreise
Aufgeschrieben von Willi Fuhr (†) anlässlich des 75jährigen Jubiläums der FotoFreunde Wetzlar, 2006
Allein, um der häuslichen Enge für wenige Stunden zu entgehen – denn es herrschte zu dieser Zeit noch die Wohnraumbewirtschaftung – und weil das Angebot an Freizeitaktivitäten so kurz nach der Währungsreform äußerst spärlich war, willigte ich in seinen Vorschlag ein.
Ich erinnere mich, daß wir an jenem Dienstagabend sehr freundlich von Paul Görnert begrüßt wurden, der zu dieser Zeit dem Verein als 1. Vorsitzender vorstand.
Es wurde gefachsimpelt. Bilder wurden herumgereicht. Über die Bildgestaltung wurde debattiert und diskutiert. Und Begriffe wie Belichtungszeit, Blende und Schärfentiefe waren für Heinz und mich zunächst noch Böhmische Dörfer. Doch das sollte sich schon bald ändern.
Ehrfurchtsvoll betrachtete ich die Leica-Kameras, die der eine oder andere Fotofreund zum Vereinsabend mitgebracht hatte, denn meine fotografische Ausrüstung bestand zu jener Zeit aus einer Kodak »Box«, die mir meine Eltern in den 30er Jahren geschenkt hatten. Diese Box-Kamera hatte damals 5 Reichsmark gekostet, und der dazu passende Rollfilm – 6 × 9 auf Metallspule – war für 1,20 Reichsmark zu haben. Und jetzt also die Leica, die für meinen Vetter, der ja „Leitzianer“ war, nicht unbekannt war.
Unser Interesse an Fotografie wurde an diesem Februarabend geweckt.
In der Folgezeit erfreuten wir uns an den Vereinsabenden an Schwarzweiß-Dias, welche einzelne Mitglieder meist zu später Nachtstunde in der häuslichen Küche oder im Badezimmer kopiert hatten.
Projiziert wurde mit einem vereinseigenen Leitz-Projektor, dem VIIIs, der noch nicht über eine – heute selbstverständliche – Gebläsekühlung verfügte. Die glasgerahmten Dias zeigten leider nur zu oft Newton-Ringe, was man aber als unabwendbares Übel hinnehmen mußte. Aber das gab wiederum Diskussions- und Gesprächsstoff … Auch lernten wir an den Vereinsabenden sehr schnell, was ein Gelbfilter bewirkt und warum ein UV-Filter wichtig ist.
Ich denke gern an einen Abend zurück, an dem Dr. Theodor Arzt, seines Zeichens Botaniker und als solcher Oberstudienrat am hiesigen Lyzeum, erstmals Farbaufnahmen projizierte. Es waren sensationelle Nahaufnahmen von Blüten und Pflanzen, die er mit der Leica und vorgesetztem Spiegelkasten auf Agfacolor-Film fotografiert hatte. Dieser Farb-Diafilm hatte damals eine Empfindlichkeit von 15° DIN.
15° DIN – was bedeutete das? Heinz und ich haben es schnell gelernt, wie auch so manch andere Erklärung fotografischer Begriffe.
Gegründet im Jahr 1931
Auch hatten wir längst erfahren, daß der Verein der Fotofreunde Wetzlar im Jahre 1931 gegründet worden war. Gründungsmitglieder waren neben anderen die Herren Dr. Ludwig Leitz, Dr. Henri Dumur, der Direktor des Wetzlarer Gymnasiums Fritz Vieth und Paul Görnert sowie Herr Görtel, der ein Fotogeschäft in der Silhöfer Straße betrieb und seine Dunkelkammer den Fotofreunden zur Verfügung gestellt hatte.
Während der Gründungsversammlung wurde natürlich auch die Namensfindung für den neuen Verein diskutiert. Der Vorschlag, den Verein »Leica-Club« zu nennen, wurde von Dr. Leitz zurückgewiesen. Die Begründung: Der Verein solle offen sein für alle Amateurfotografen, unabhängig vom Fabrikat der jeweils benutzten Kamera. Allein schon aus diesem Grund fühlte ich mich im Kreis der Fotofreunde mit meiner Kodak »Box« sehr wohl.
Der unselige Zweite Weltkrieg war gerade mal vier Jahre vorüber, als ich zu den Fotofreunden stieß. Noch hatte man 1949 nicht vergessen, daß während des Krieges dazu aufgerufen worden war, den kriegswichtigen Rohstoff Silber nach jeder Filmentwicklung zurückzugewinnen. Auch wurden unter der Hand Tips gegeben, wo und wie noch Filme ergattert werden könnten.
Der Krieg hatte tiefe Wunden in die Vereinsgemeinschaft gerissen. Es war Paul Görnert, der die Zügel in die Hand nahm, um die Wunden zu heilen – auch wenn Narben blieben. So ist es seiner Initiative zu verdanken, daß für die Fotofreunde in der ersten Hälfte der 50er Jahre von der Ernst Leitz GmbH in einer Garage auf der Minneburg eine gut ausgerüstete Dunkelkammer eingerichtet wurde. So war die Minneburg für viele Jahre der allwöchentliche Treffpunkt, wo praktische Fotoarbeit geleistet wurde. Heute würde man das wahrscheinlich „Foto-Workshop“ nennen …
Das sich verändernde Stadtbild wird dokumentiert
Paul Görnerts Anregungen folgend wurden bauliche Veränderungen des Wetzlarer Stadtbildes fotografisch festgehalten, als S/W-Dias dokumentiert und nach einem von der Öffentlichkeit stark beachteten Vortrag, den Dr. Arzt in der Aula der Goetheschule hielt, dem Archiv der Stadt Wetzlar übereignet. Diese Diapositive werden heute noch gern ausgeliehen.
Weitere öffentliche Vorträge folgten, so z.B. vor Rekruten in der Sixt-von-Arnim-Kaserne oder aus Anlaß des Hessentages 1975 im Wetzlarer Hof. Nicht vergessen werden darf die Vier-Felder-Projektion im Kinosaal der Leitz-Werke, die ebenfalls das Thema „Wetzlar“ in den Mittelpunkt stellte.
Es würde zu weit führen, alle öffentlichen Aktivitäten der Fotofreunde der vergangenen Jahrzehnte im Rahmen dieser Erinnerungen aufzuzählen. Doch sei das Thema Öffentlichkeitsarbeit abgerundet mit dem Hinweis darauf, daß der Verein seit 1997 einen Wetzlar-Kalender anbietet, der weit über die Grenzen Wetzlars hinaus beliebt ist.
75 Jahre FotoFreunde Wetzlar: Ich erinnere mich daran, daß das Vereinslokal vom Westfälischen Hof in der Lahnstraße in die »Loge« am Goldfischteich verlegt wurde. Danach waren wir zu Gast im Gasthaus »Zum Riesen« in der Güllgasse.
Nach einer Zwischenstation im »Gasthaus Seib« in Niedergirmes genossen die Fotofreunde viele Jahre Gastrecht in den Räumen des Kanu-Clubs Wetzlar an der Eisernen Hand. Seit Anfang 2006 residieren die Fotofreunde im Nachbarschaftszentrum Westend.
Ich erinnere mich. Dazu gehört auch, die Namen derer zu nennen, die dem Verein in all den Jahren vorstanden bzw. vorstehen, seit denen ich Mitglied bin:
Paul Görnert †
Willi Fuhr
Erich Schick
Walter Tropp †
Karl Frey †
Herbert Geier †
Günter Grübel †
Fritz Schäfer †
Dieter Dauser
Ulrich Engelmann
Nachtrag:
Bernd Deck
Oliver Zielberg
Walter Schwab
Es würde zu weit führen, jedem dieser Ehrenamtlichen eine „Laudatio“ zu widmen. Doch sollte ich an dieser Stelle eines Fotofreundes gedenken, dem es gelungen war, seine geliebte Leica als Soldat durch alle Wirren des Krieges zu retten: Es war Ernst Scharf, der außerdem das Kunststück fertiggebracht hatte, seine Kamera auch noch durch alle Fährnisse der Kriegsgefangenschaft zu schmuggeln. Seine sensationellen Aufnahmen aus Gefangenenlagern wurden von der »Frankfurter Illustrierten« veröffentlicht.
In jedem Vereinsleben gibt es Höhen und Tiefen. So reichte beispielsweise der Raum im Westfälischen Hof anfangs der 50er Jahre kaum aus, um allen Mitgliedern und den Gästen bei den Vereinsabenden einen Sitzplatz zu garantieren. Doch mit der Zunahme der Motorisierung nahm das Interesse am Vereinsleben ab. Mitunter waren es nur noch acht Vereinsmitglieder, die zu den regelmäßigen Vereinsabenden kamen. „Benzin verdirbt den Charakter“ war zeitweise ein geflügeltes Wort unter jenen Mitgliedern, die noch nicht motorisiert waren. Aber das ist lange her.
Von SW zu Farbe – und dann digital…
Die S/W-Fotografie wurde von der Farbfotografie abgelöst. Und seit wenigen Jahren ist die Digitalfotografie auf dem Vormarsch. Längst hat die Elektronik das weite Feld der Fotografie erobert. Kameras mit Zeit- und Blendenautomatik sind selbstverständlich geworden. Die Scharfeinstellung besorgt der Autofokus, das Blitzgerät ist in das Kameragehäuse integriert. Da ist es nicht verwunderlich, daß sich in diesen Zeiten der zunehmenden Automatisierung eine Gruppe von Fotofreunden wieder verstärkt der S/W-Fotografie zuwendet. Die Filme werden wieder eigenhändig entwickelt und in der Dunkelkammer bearbeitet. Damit wird also gleichermaßen sowohl den Belangen der Farbfotografie als auch der S/W-Fotografie im Rahmen des Vereinslebens Rechnung getragen.
Die Erinnerung an 75 Jahre Fotofreunde kann nur Stückwerk bleiben, auch wenn man wie ich seit mehr als 50 Jahren ein Mitglied dieses Vereins ist. Ich erinnere mich vieler Ausflüge, so z.B. nach Luxemburg, in die Vogesen, nach Prag, in die Lutherstadt Wittenberg und in den Spreewald.
Ich erinnere mich der vielen Maiwanderungen und Grillfeste. Ich erinnere mich zahlloser Bilderausstellungen, Stadtwanderungen und Jahresabschlußfeiern. Die Geselligkeit stand also zu jeder Zeit hoch im Kurs.
Fühlen, Riechen, Hören und Sehen sind jene Fähigkeiten, die uns Menschen die Umwelt nahebringen. Aber das Sehen ist ganz sicher die stärkste. Das wissen die Werbeleute, das wissen das Fernsehen und die Presse. In diesem Wissen nimmt das Bild in unserem Leben eine besondere Stellung ein. Das Bild zu pflegen ist der Anspruch, dem sich die Fotofreunde stellen. So werden sie mit ihren Bildern dazu beitragen, die Welt, in der wir leben, sich und ihren Mitmenschen transparent zu machen.